Thematischer Horizont







Abstract

Am Beispiel der Germania italiana, d.h. der in Deutschland lebenden Italiener und der Deutschen mit italienischem Hintergrund, lässt sich in exemplarischer Weise zeigen, wie schwer die seit den 50er Jahren entstandene multiple und in vielfacher Hinsicht grenzüberschreitende Realität der modernen europäischen Staaten begrifflich zu fassen ist; es fehlt im weithin noch (und wieder zunehmend) national geprägten Horizont an adäquaten Kategorien. So wird im Beispielsfall der politische, aber auch alltagssprachliche Abgrenzungsbegriff der Minderheit weder von den zugehörigen Personen reklamiert, noch werden sie damit – glücklicherweise – von den anderen in Deutschland lebenden Personen oder den Massenmedien identifiziert. Auch ganz unabhängig von der fehlenden Identifikation der genannten Population als gesellschaftlich minoritäre Gruppe gibt es höchstwahrscheinlich auch keine spezifischen kulturellen Techniken, an denen die Zugehörigkeit zur Germania italiana durchgängig und trennscharf festgemacht werden könnte, weder an der Sprache, noch an einer spezifischen Religion, an Erwerbstätigkeiten, Ernährungsgewohnheiten oder anderen konventionellen Alltagsritualen; ebenso wenig lassen sich trotz großer regionaler Unterschiede  ‘eigene’ Wohngebiete isolieren. Aus diesen Gründen wäre auch die ausgrenzende Redeweise von einer Ethnie unangemessen. Vielmehr ist es so, dass ‘Italiener’ und ‘Italienisches’ seit ca. 60 Jahren in der Deutschlands Bevölkerung und Alltagskultur diffundieren: Italienisch und italienische Dialekte werden nicht nur von (den meisten) italienischen Migranten und ihren Nachfahren gesprochen, sondern Italienisch wird mittlerweile in den Gymnasien etlicher Bundesländer als Fremdsprache gelehrt – und gelernt; zahlreiche Komponenten der ganz unauffälligen Lebenswelten aber auch des besonderen life style sind italienisch geprägt.  Es wäre jedoch falsch die skizzierte Diffusion mit dem Verschwinden der Italianität gleichzusetzen; denn der Wohnortwechsel zwischen Deutschland und Italien ist nach wie vor aktiv: Einerseits sind Italiener zurückgekehrt, andererseits ist nach 2009 ein massiver neuer Zuzug nach Deutschland erfolgt; es ist wenig darüber bekannt, ob, und wenn ja, wie sich diese sogenannten Expats mit der älteren Immigration und ihren Nachfahren in Gestalt lokaler communities organisieren. Die Beiträge des Panels sollen daher die Geschichte der Germania italiana  in Schlaglichtern erhellen und den Übergang vom der stark binational geprägten Horizont der 50er und 60er zur individuell pointierten Perspektive der letzten Jahre reflektieren.

1. Schwerpunkt

Dieses Panel wurde zwar von Linguist*innen organisiert, aber Gegenstand ist in kommunikationsräumlicher Perspektive nicht nur und nicht einmal in erster Linie die Sprache. VieImehr geht es in der Perspektive der Tagung eher um 

  • B/ORDERING eines gemeinsamen sozialen Raums
  • als um B/ORDERING getrennter Räume.

2. Perspektiven

  • Zeitgeschichte (→ Grazia Prontera)
  • gesellschaftliche Gegenwart (→ Patrizia Mazzadi, Edith Pichler, Norma Mattarei)  

3. Aspekte

individueller, sozialer, kultureller und politischer Art, wie

  • kommunale Integration - assoziative Organisation - politische Partizipation
  • bilinguale Realität und ihre schulische Institutionalisierung
  • Arbeitsmarkt und (Dis)Qualifikation
  • brain drain und brain waste
  • italienisch-deutsche Autoperzeption und Heteroperzeption
  • Italiener*innen

4. Eine virtuelle Einladung zur Kooperation

Monaco italiana. Realtà urbane: segni | esperienze | percorsi

Lingscape (2016, http://lingscape.uni.lu/), eine App zum Crowdsourcen von Linguistic Landscape-Daten  (vgl. Purschke im Druck und die Fallstudie von Elissa Pustka 2020)

Bibliographie

  • Bernhard/Lebsanft 2013 = Bernhard, Gerald / Lebsanft, Franz (2013): Mehrsprachigkeit im Ruhrgebiet, Tübingen, Stauffenburg.
  • Brunn/Kehrein im Druck = Brunn, Stanley / Kehrein, Roland (Hrsgg.) (im Druck): Handbook of the Changing World Language Map, Heidelberg, Springer.
  • Campanale 2006 = Campanale, Laura (2006): I gelatieri veneti in Germania: un'indagine sociolinguistica, Lang.
  • Ingrosso 2017 = Ingrosso, Sara (2017): Italian Newcomers to Germany and Cultural Identity, in: AEMI-Journal, vol. 15, 40-50.
  • Ingrosso/Barberio 2020 = Ingrosso, Sara / Barberio, Teresa (2020): Monaco Italiana. Realtà urbane e digitalizzazione, München (Link).
  • Krefeld 2004a = Krefeld, Thomas (2004): Einführung in die Migrationslinguistik: Von der "Germania italiana" in die "Romania multipla", Tübingen, Narr.
  • Krefeld 2019as = Krefeld, Thomas (2019): Räumlichkeit des SPRECHERS (vi) – Das Beispiel der Germania italiana, in: Lehre in den Digital Humanities, München (Link).
  • Krefeld 2020r = Krefeld, Thomas (2020): Über ‘Dächer’, ‘Schirme’ und Diversität – Sprachsoziologie im kommunikativen Raum, in: Korpus im Text, Serie A, 48821 (Link).
  • Melchior 2009 = Melchior, Luca (2009): Sù pes Gjermaniis zwischen Dissoziation und Integration: Kommunikationsräume friaulischer Einwanderer in Bayern, Frankfurt, M. [u.a.], Lang.
  • Purschke im Druck = Purschke, Christoph (im Druck): Using crowdsourced data to explore the linguistic landscape of cities. Results from the participatory research project Lingscape, in: Brunn / Kehrein im Druck.
  • Pustka 2020 = Pustka, Elissa (2020): Wo Österreich französisch ist: eine Pilotstudie zur Linguistic Landscape der Wiener Josefstadt (8. Bezirk), in: Prof. Alpinista, München (Link).
  • Vedovelli 2012 = Vedovelli, Massimo (Hrsg.) (12012): Storia linguistica dell'emigranzione italiana nel mondo, Rom, Carocci editore.